„Wir arbeiten jetzt schon an der Belastungsgrenze!“
Ein Interview von Sebastian Aigner
Frau Erschow, mit welchen Problemen kommen die Menschen zur Russischen Sozialberatung?
Das Gros der Anfragen ist eher alltäglich. Da geht es zum Beispiel darum, dass eine Nebenkostenabrechnung falsch ist, eine Bankabbuchung fehlerhaft, oder es Probleme mit dem Mietvertrag gibt. Die Leute verstehen einfach nicht, was zu tun ist, und wie man sich zur Wehr setzt.

Oft werden wir auch wegen Schul- oder Kindergartenproblemen aufgesucht. Scheidung ist eine Problematik, die ebenfalls häufig auf den Tisch kommt. Vor ein paar Jahren hatten wir es bei Familie Rozenberg mit einer Kindesentführung zu tun. Solche extremen Fälle sind allerdings eher selten. Wir bieten auch Schuldnerberatung an, Fragen zu Rente und Arbeitslosigkeit werden geklärt. Wir arbeiten eng mit dem Sozialreferat der Stadt München zusammen, wenn es um Ferienangebote für Familien, Kinder- und Familienpässe, oder auch Zuschüsse zu Schulsachen geht. Unser Angebot ist tatsächlich recht vielfältig für so eine gering besetzte Beratungsstelle wie unsere.
Welche speziellen Angebote haben Sie für Familien?

Wir haben ein Konzept für eine präventiv integrative Familienbetreuung ausgearbeitet. Dafür sind wir bestens ausgerüstet, wir haben den interkulturellen Hintergrund, wir kennen die Sprache und Mentalität der Menschen. Die Beratung geht nicht nach Schema F vor. Wir gehen individuell auf den einzelnen Fall ein, wir hinterfragen und nehmen uns Zeit. So können wir zielgerichtet helfen und verhindern, dass die Probleme den Familien über den Kopf wachsen. Solche Fälle landen normalerweise beim Jugendamt, dann ist es meist zu spät. Wir haben in den letzten Jahren vermehrt Zulauf von Familien mit minderjährigen Kindern. Deshalb wollen wir das professionalisieren, haben daher auch einen Antrag ans Jugendamt für eine Dauerförderung des Programms gestellt. Für so ein umfangreiches Angebot brauchen wir einfach mehr Personal, und dafür ist das Geld zu knapp.
Aus welchen Ländern kommen verstärkt neue Zuwanderer?
Seit der EU-Ost-Erweiterung spielt die Beratung von EU-Bürgern aus den baltischen Staaten sowie aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn eine große Rolle. Die größte Gruppe bilden nach wie vor Bürger aus der Russischen Föderation (7.338) sowie der Ukraine (5.792). Gerade aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen auf der Krimhalbinsel und in der Ukraine erwarten wir in den nächsten Monaten und Jahren einen erhöhten Zuzug aus dieser Region.
Ihre Arbeit kostet nicht nur viel Zeit und Engagement, sondern auch Geld. Wie stellen sie die Finanzierung der Russischen Sozialberatung sicher?
Wir sind sehr stark auf Spenden angewiesen. Hauptsächlich finanzieren wir uns aber durch städtische Zuschüsse – das Sozialreferat hat uns bisher immer unterstützt. Das Land Bayern hat 2012 seine Zuschüsse plötzlich und ohne richtige Begründung eingestellt, seither haben wir ein Loch in der Finanzierung. Wir hoffen, für unser neues Konzept der präventiv integrativen Familienberatung die Finanzierung durch das Jugendamt zu bekommen.
Was passiert, wenn das nicht klappt?

Sollte das nicht klappen, können wir auch keine Familien mehr beraten, da fehlt uns dann einfach die Manpower. Wir arbeiten jetzt schon an der Belastungsgrenze, mehr geht einfach nicht! Letzten Endes müsste dann die Stadt mit ihren Einrichtungen selbst schauen, wie sie klarkommt. Fälle wie den von Frau Rozenberg etwa könnten wir dann auch nicht mehr übernehmen, so schwer es uns fällt. Hoffentlich sieht das Jugendamt, dass da ein großer Bedarf besteht und wir dem Amt viel Arbeit abnehmen. Viele Fälle landen durch uns erst gar nicht beim Jugendamt, auch das würde sich dann ändern.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Russischen Sozialberatung?
Von den politischen Entscheidungsträgern auf Landesebene wünsche ich mir mehr Wertschätzung für unsere Arbeit. Dass die Landeszuschüsse 2012 gestrichen wurden, versteht niemand. Die Migranten sind ja nach wie vor da, und die Zahl von Flüchtlingen und Neuankömmlingen steigt weiter an. An dieser Stelle möchte ich aber auch die Stadt München loben: Die Zusammenarbeit mit dem Sozialreferat und dem Kulturreferat klappt wunderbar. Sie tun wirklich was sie können. In nackten Zahlen ausgedrückt, fehlen uns in der Beratungsstelle und der Bibliothek 30.000 bis 40.000 Euro pro Jahr. Damit könnten wir unsere Beratungsangebote und unsere kulturelle Arbeit aufrechterhalten und erfolgreich fortführen. Wir brauchen motivierte junge Leute, die uns unterstützen. Ich will das, was wir mit der Tolstoi-Bibliothek und der Russischen Sozialberatung bisher erreicht haben, an die nächste Generation weitergeben, um den Leuten auch in Zukunft helfen zu können.
„Heimat ist kein Ort − Heimat ist ein Gefühl“
Eine Interviewstory von Kosima Graf
Den typischen vietnamesischen Strohhut hat sie zu Hause gelassen. Grazil sitzt sie in einem Münchner Café am Stachus und rührt in ihrem Cappuccino. Ai Van Tran Thi wirkt reserviert. Doch wenn sie lacht, dann strahlt sie Herzlichkeit und Stärke aus. Sich durchzusetzen, zu wissen, was sie will – das ist für die Vietnamesin nicht neu. Erst kürzlich wühlte sie sich durch einen Berg von Formularen. Dranbleiben, Ausdauer zeigen, das kann sie. Mit Erfolg:
Dank der Unterstützung des Netzwerks MORGEN hat sie von der Landeshauptstadt München einen Zuschuss für die vietnamesische Frauengruppe Nón lá in Höhe von 6.000 Euro bekommen. Geld, um drei verschiedene muttersprachliche Kurse für vietnamesische Kinder am Harras, in Riem und Milbertshofen zu finanzieren. „Meine Frauengruppe und ich, wir freuen uns sehr, dass wir die Unterstützung bekommen haben“, sagt Ai Van Tran Thi. „Kinder brauchen Wurzeln in der Muttersprache“, davon ist sie überzeugt.
Die Sehnsucht nach dem Ursprung kennt Ai Van Tran Thi. In den vergangenen Jahren ist der Drang nach der Ursprungsheimat Vietnam stärker geworden. Einmal im Jahr fährt sie nach Ho Chi Minh City (Saigon) – ihre Eltern besuchen sie hier in München.
Doch das allein genügt ihr nicht. Die 41-jährige ist Buddhistin. Erst kürzlich organisierte und dolmetschte sie für die Mitarbeiter der Münchner Inneren Mission auf deren Wunsch einen Besuch im buddhistischen Kloster in Freimann. „Die deutschen Gäste waren sehr beeindruckt vom Vortrag des Mönchs, der uns die Bedeutung des Buddhismus in Vietnam vermittelt hat“, meint die Vietnamesin.
Ein Paradebeispiel für gelungene Integration

Ai Van Tran Thi fühlt sich in München wohl. Sie hat das, wovon viele träumen: ein Haus am Stadtrand von München, Familie, zwei Kinder. Ai Van Tran Thi ist in Deutschland angekommen und das mit Erfolg. Eine Ausbildung zur Kultur-Managerin und als Dolmetscherin hat sie mit Auszeichnung abgeschlossen. Ihren Selbstbehauptungswillen gibt sie auch an ihre weiblichen Landsleute weiter.
Vor zwei Jahren gründete sie zusammen mit einer älteren Dolmetscher-Kollegin, Frau Dang, einer Dolmetscherin, die schon lange in Deutschland zu Hause ist, die vietnamesische Frauengruppe Nón lá, die sich seitdem regelmäßig in den Räumen des Alten- und Service-Zentrums Haidhausen (ASZ) trifft. Hier tauschen sich Frauen aus Süd- und Nordvietnam miteinander aus, machen sich gegenseitig Mut und feiern gemeinsam. Ai Van Tran Thi hilft bei Sprachproblemen und dolmetscht vor Gericht. Diese Arbeit machte sie auch mit den Schattenseiten des Lebens ihrer Landsleute in Deutschland vertraut. Vietnamesische Frauen begleitet sie bei Behördengängen und ins Frauenhaus. „Die Unterstützung dieser Frauen und ihrer Kinder ist mir ein großes Anliegen“, betont Ai Van Tran Thi.
Seit jeher ein Energiebündel
Woher nimmt sie ihre geradezu unerschöpfliche Energie? Von Kindesbeinen an ist sie geschult in Körperbeherrschung. Bereits im Alter von fünf Jahren tanzte sie in einem vietnamesischen Zirkus. Tanz ist ihr Leben. „Wenn ich tanze, dann fühle ich mich zu Hause“, hat sie erfahren. Früh musste sie aber auch lernen mit Verlusterfahrungen umzugehen. Geboren in Hanoi, von russischen Talentscouts entdeckt, kam sie mit zwölf Jahren, ganz ohne Eltern und ohne russische Sprachkenntnisse an die Staatsoper Kiew. Dort absolvierte sie mit Auszeichnung eine Ausbildung zur Balletttänzerin. „Ich konnte nur alle drei Jahre nach Hause fahren. Das hat mich gelehrt, Heimat in mir selbst zu finden, beim Tanz oder jetzt im Gespräch, hier im Cafe“.
Damit andere auch dieses Gefühl erleben, ist ihr der Austausch unter den Frauen von Nón lá besonders wichtig. Doch nicht nur da – „im Zusammenhang mit dem Netzwerk MORGEN soll ein übergreifender Austausch stattfinden“, sagt sie und lächelt. Ein Lächeln, das ansteckt. Soll es auch. “Der Zuschuss für das Sprachprojekt ist ein Anfang. Davon soll es noch mehr geben.“ Ai Van Tri Than lässt ihren Blick im Café schweifen. „Heimat ist für mich kein Ort – Heimat ist für mich ein Gefühl.“ Das singt übrigens auch Herbert Grönemeyer.
Zu Nón lá
Von Palästina nach München
Eine Interviewstory von Henning Schmidt
Firouz Bonhoff und ihre Mitstreiter von Yalla Arabi bringen seit 2012 Kultur und Informationen über die arabische Welt nach München – eine Begegnung…

Es ist ein warmer Freitagnachmittag, Anfang April, im Café des Eine-Welt-Hauses in München. Firouz Bonhoff sitzt vor einer Tasse Tee, bereit zum Interview. Sie wirkt bescheiden, sympatisch. Geboren in der Nähe von Dschenin im israelisch besetzten Westjordanland und aufgewachsen in Jerusalem. Mittlerweile lebt sie seit 34 Jahren in Deutschland und hat drei Kinder groß gezogen. „Ich bin nur diejenige, die um Geld bettelt“, sagt Firouz lächelnd, auf ihre Rolle bei Yalla Arabi angesprochen. Dies muss ein gnadenloses Understatement sein. Firouz koordiniert die einzelnen Projektgruppen, in denen bei Yalla Arabi Ideen realisiert werden – und hält somit alle Fäden zusammen. Für sie ist aber etwas anderes entscheidend: „Das Tolle bei uns ist, dass alle unsere Mitglieder ganz unterschiedliche Stärken haben. Einer kennt sich mit Facebook aus, der andere kann gut Flyer entwerfen oder schreibt Anträge und sorgt für Vernetzung“, erklärt sie.
Eine Sprachschule und noch viel mehr
Angefangen hat alles vor gerade einmal zwei Jahren. Damals kam Lina Yassin auf die Idee, eine arabische Sprachschule zu gründen. Ihr Kind sollte Arabisch lernen, aber eben nicht in der Moschee, sondern in einem säkularen Umfeld. Gesagt, getan – und so scharte sie einige Unterstützer um sich. Darunter auch Firouz Bonhoff. Schnell sei klar geworden, dass es mit einer Sprachschule alleine nicht getan wäre. „Aufklärung über die arabische Welt und außerdem ein Ort, an dem arabische Kultur gelebt werden kann, sind dringend notwendig“, so Firouz. „Solche Plätze gibt es in München viel zu wenig, und wenn einmal etwas stattfindet, dann bekommen die Leute es oft gar nicht mit“. Das sind die Herausforderungen und Probleme, mit denen Yalla Arabi seit der Gründung 2012 konfrontiert ist.
Nicht unpolitisch, aber kein politischer Verein
Gleichwohl machten sich die Initiatorinnen mit Feuereifer daran, alle Hürden zu nehmen. Die Schule wurde aufgebaut, Anfang 2013 trat Yalla Arabi mit einer Ausstellung zum Aufstand der Frauen in der arabischen Welt erstmals an die Öffentlichkeit. „Die Ausstellung kam so gut an, dass sie jetzt auf Deutschlandtour geht“, berichtet Firouz Bonhoff. Stolz überreicht sie einen professionell gestalteten Bildband, der bereits in der zweiten Auflage erschienen ist. Außerdem richtet die Initiativgruppe gemeinsam mit anderen Münchner Gruppen die umstrittene Nakba-Ausstellung über die Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 aus – Kritiker warfen der Ausstellung blanken Antisemitismus vor. Unpolitisch ist Yalla Arabi also nicht.
Bildung und Kultur sind Kernkompetenz
„Trotzdem ist das Politische nur ein Nebenaspekt bei Yalla Arabi“, betont Firouz Bonhoff. Wichtiger sei die Bildungs- und Kulturarbeit, wo es auch schon einige Erfolge zu vermelden gäbe. Neben der Sprachschule erzählt Firouz von den rund 30 Teilnehmern der Tanzgruppe, die kürzlich bei einem Flashmob auf dem Stachus für Aufsehen sorgte. Außerdem gäbe es einen Chor, auch Theater könne die Gruppe bereits präsentieren: zum einen im Rahmenprogramm der Frauen-Ausstellung das Ein-Personen Drama „Cappuccino in Ramallah“, zum anderen das von den Kindern der Sprachschule aufgeführten Stück „Der Grüffello“. Auch Wanderungen und zwei arabische Feste habe das Organisationsteam schon erfolgreich ausgerichtet. Als nächstes steht Anfang Juni ein arabisches Konzert auf dem Programm.
Syrienhilfe und Information als nächstes Großprojekt
Ein wichtiges Projekt für Yalla Arabi ist die Hilfe für syrische Flüchtlinge im Libanon. Ende letzten Jahres wurde mit Hilfe einer Yalla Arabi-Aktivistin vor Ort eine sehr erfolgreiche Spendensammlung organisiert und Nothilfe geleistet. Sogar zwei Schulklassen konnten aufgebaut werden. Firouz: „Wir hoffen, hier auch weiterhin Hilfe leisten zu können und den ehrenamtlichen Lehrern vor Ort ein kleines Auskommen zu sichern“. Ob das klappt, sei aber noch unklar. „Da sind wir noch in Gesprächen und versuchen Gelder einzuwerben“, so die Hoffnung von Firouz. Ein weiteres Ziel: Exil-Syrer für Informationsveranstaltungen nach München holen.
Wachsen und professioneller werden
Für die mittel- und langfristige Entwicklung von Yalla Arabi stellt Firouz Bonhoff vor allem zwei Aspekte ins Zentrum: „Wir möchten wachsen und professioneller werden. Dafür haben wir auch schon Seminare des Netzwerkes MORGEN besucht und mit einem Coach die eigenen Ziele, Visionen und Schwerpunkte festgelegt. Insgesamt müssen wir aber noch abwarten, wie stabil die Gruppe personell ist“. Deshalb wurde bislang auf die Gründung eines eingetragenen Vereins verzichtet. Hört man Firouz Bonhoff zu, besteht allerdings wenig Zweifel, dass Yalla Arabi die Münchner Bildungs- und Kulturlandschaft noch lange und erfolgreich bereichern wird.
Zu Yalla Arabi
Foto-Galerie
Umzug in neue Räume in der Sonnenstraße 12, 9.4.2014
Veranstaltung „München lebt Vielfalt?!“, 12.2.2014
Märchen-Lesetag in der IG, 16.11.2013
Auftaktveranstaltung des Netzwerks MORGEN, 26.9.2013
Vielfalt in den Vereinen
Tanzen, musizieren, Sprachen lernen: Münchner Migrantenorganisationen bieten ein vielfältiges Kultur- und Freizeitprogramm und bereichern die Stadtgesellschaft. Zum Beispiel das russischsprachige Kulturzentrum GOROD…
Ein Film von Anke Tatzer, Regina Bartsch und André Pleintinger.
Märchenfest in Bildern
Drachen, rosa Elefanten, Zwerge: Das interkulturelle Märchenfest der InitiativGruppe verzaubert kleine und große Geschichtenliebhaber. Über eine Entführung in fremde Welten…
Eine Audio-Slideshow von Nina Holley und Ulrike Braun.