Stellungnahme zur angekündigten Kürzung der Förderung für muttersprachliche Angebote

MORGEN e.V. hat gemeinsam mit dem Migrationsbeirat München, dem Migrantinnen-Netzwerk Bayern und in Absprache mit dem Münchner Selbsthilfebeirat eine Stellungnahme verfasst, um die angekündigte Kürzung der Selbsthilfeförderung für „muttersprachliche Angebote“ abzuwenden.

Hier der Text unserer gemeinsamen Stellungnahme:

Sehr geehrte Stadträt*innen der Landeshauptstadt München,

MORGEN e.V, der Migrationsbeirat München und das Migrantinnen-Netzwerk Bayern fordern die Landeshauptstadt München auf, die beschlossene Kürzung der Selbsthilfeförderung für „muttersprachliche Angebote“ ab 1. Januar 2021 zurückzunehmen bzw. gemeinsam mit den Verfasser*innen dieser Stellungnahme alternative Lösungsansätze zu entwickeln.

Muttersprache ist Identität. Ist Heimat. Ist der Bezug zu Familie und persönlichen Wurzeln. Sprache ist der zentrale Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Wichtig ist jedoch nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache, sondern auch die Förderung der Herkunftssprache. Das Konzept des muttersprachlichen Unterrichts sieht vor, dass die Lernenden sich in ihrer Muttersprache mit spezifischen Themen aus dem geschichtlich-historischen oder kulturellen Bereich ihrer Herkunftsländer befassen. Mit diesem Wissen setzen sich viele unterschiedliche Migrantenorganisationen dafür ein, ihre jeweiligen Muttersprachen zu pflegen und an die eigenen Kinder weiterzugeben. Die Aktiven investieren viele Stunden und persönliches Engagement an Wochenenden, um Kurse zu organisieren und Sprachangebote für Kinder und Familien zu schaffen. Auf kreative Weise vermitteln diese Angebote für Kinder, die hier in München aufwachsen, Bezug zu Sprachen, Kulturen, und Traditionen ihrer Familien und ermöglichen ihnen damit ihre eigene Identität(en) zu entwickeln und zu festigen.

Die Zahl der Gruppen, die solche muttersprachlichen Angebote entwickelt und organisiert ist in den letzten Jahren gestiegen und die Vernetzung unter den Gruppen hat sich stetig weiterentwickelt. Dies ist auch der Zusammenarbeit von Selbsthilfezentrum München (SHZ), MORGEN e.V., Migrationsbeirat und Sozialreferat zu verdanken, die sich mit Unterstützung derPolitik dafür eingesetzt haben, muttersprachliche Angebote zu fördern. Das Förderprojekt „Raumbörse“ sowie die Förderung von „muttersprachlichen Angeboten“ im Rahmen der sozialen Selbsthilfe waren zwei große Erfolge, die gemeinsam erreicht werden konnten.

Über die Raumbörse, die durch das Kulturzentrum GOROD/Trägerverein GIK e.V. sowie das SHZ koordiniert wird, können die Gruppen kostenfrei Räume in der Arnulfstraße 197 nutzen, um dort ihre muttersprachlichen Angebote zu organisieren und sich untereinander zu vernetzen. Aktivitäten von MORGEN e.V., wie ein regelmäßiger Arbeitskreis, das jährliche Interkulturelle Märchenfest sowie der Internationale Tag der Muttersprache mit und in der Münchner Stadtbibliothek, trugen und tragen zudem dazu bei, die Sichtbarkeit und Vernetzung der Gruppen voranzubringen und den Austausch untereinander zu fördern. Auch hier war und ist die Zusammenarbeit mit anderen Partnern in der Stadt sowie die Förderung durch den Migrationsbeirat wichtig und hilfreich.

Gleichzeitig hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass die beschlossenen Förderangebote kaum ausreichen und die aktiven Gruppen sowohl mehr Bedarf an Räumen als auch an hinsichtlich der Förderung für ihre muttersprachlichen Angebote haben. Denn es war von Anfang an schwierig, dass der Selbsthilfecharakter der Förderrichtlinien einer Professionalisierung der Angebote entgegenstand. Daher setzten und setzen sich Migrationsbeirat, MORGEN e.V., SHZ, Internationale Forschungsstelle Mehrsprachigkeit (IFM) und viele andere aktive Partner und Migrantenorganisationen für eine Ausweitung der Förderung bzw. für verstärkte Vernetzung und Öffnung von Schulen und öffentlichen Räumen ein.

Der Beschluss, zum 1. Januar 2021 die Förderung muttersprachlicher Angebote einzustellen, bedeutet in dieser Hinsicht eine Katastrophe. Denn es ist eine klare Absage an alle Vernetzungsbemühungen und gefährdet die Erfolge der letzten Jahre. Es steht zu befürchten, dass die Migrantenorganisationen nicht nur keine Entwicklungsmöglichkeiten haben, sondern vielmehr, dass sie ihre bereits bestehenden Angebote nicht aufrechterhalten können. Einige Vereine/Gruppen haben uns diesbezüglich schon ihre Sorgen mitgeteilt, nachdem sie von der geplanten Kürzung der Förderung in Kenntnis gesetzt wurden.
Auch die sozialen und finanziellen Folgen der Pandemie könnten sich besonders negativ auf die Migrantenorganisationen auswirken. Wie die aktuelle OECD-Studie (International Migration Outlook 2020, veröffentlicht am 19.10.2020) zeigt, sind besonders Menschen mit Migrationsgeschichte überproportional von den negativen Auswirkungen der Krise betroffen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Einstellung der Förderung besonders problematisch und als Gefahr für das Engagement vieler Gruppen. Vielmehr müsste überlegt werden, welche neuen Fördertöpfe für Migrantenorganisationen geschaffen werden können! Denn gerade in einem Klima der gesellschaftlichen Polarisierung ist das Engagement von Migrantenorganisationen in Bezug auf Teilhabe und Förderung von Mehrsprachigkeit bzw. der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und Geschichte von enormer Bedeutung.

Die Corona-Virus Pandemie fordert Einschnitte im Haushalt und in der Finanzierung von Förderprogrammen. Das ist klar und verständlich. Gleichzeitig ist es wichtig, dass gerade in Hinblick auf soziale und gesellschaftliche Teilhabe und Bildung nicht zur falschen Zeit und an der falschen Stelle gespart wird! In Rahmen der Einsparungen wurde zudem das Budget des Migrationsbeirates zur Förderung von integrativen Projekten bereits um 50.000 Euro gekürzt. D.h. dass die betroffenen Vereine und Organisationen keine oder kaum Alternativen haben, die muttersprachlichen Angebote aufrecht zu erhalten. Daher bitten wir darum, gemeinsam alternative Lösungen zu entwickeln, die der veränderten Haushaltslage Rechnung tragen können und gleichzeitig nicht das Engagement von Migrantenorganisationen in München gefährden.

Gerne stehen wir für Gespräche bereit.

Kontakt: Dimitrina Lang, Burgstr. 4, Tel.: 233-92454, E-Mail: migrationsbeirat@muenchen.de

Mit freundlichen Grüßen

Dimitrina Lang, Vorsitzende des Migrationsbeirates Landeshauptstadt München
Songül Akpinar Vorsitzende MORGEN e.V.
Sadija Klepo, Vorsitzende Migrantinnen-Netzwerk Bayern e.V.

Hier der Link zur Stellungnahme Muttersprachliche Angebote PDF-Format

Hier der Link zur Anfrage durch den Münchner Selbsthilfebeirat